Der folgende Text bietet im wesentlichen eine nur wenig veränderte Version eines Vortragsmanuskriptes aus dem Jahr 2001 (jedoch ohne die insgesamt über 70 Dias). Die hier fehlenden Bilder werden jedoch durch Hinweise in eckigen Klammern bezeichnet. Am Ende des Textes finden sich einige Literaturhinweise zum Thema.
 
 

Die Bucheinbände für Kurfürst Ottheinrich von der Pfalz (1502-1559)
Vortragzum Mittelaltertag des Faksimile Verlages Luzern, 24.-25. Februar 2001

von Dr. Wolfgang Metzger

I. Einführung

Die Ottheinrichbibel ist zweifellos die prominenteste Handschrift aus dem Besitz des Fürsten, die nicht in der für ihn typischen Weise eingebunden vorliegt. Daß ihr Faksimile [Faksimile Verlag Luzern, Erscheinungsdatum wohl April 2002] dennoch einen rekonstruierten Ottheinricheinband aufweisen wird hat jedoch gute Gründe. Ließ der Wittelsbacher schon nach Möglichkeit alle Bände seiner ansehnlichen Bibliothek nach seinen eigenen Wünschen binden, so gilt das ganz besonders für die Bücher aus seinem Besitz, denen sein besonderes Augenmerk galt: besonders alte, oder wie er sich selbst ausdrückte, "antiquitetische", Bücher und Handschriften mit besonderen Miniaturen. Dazu gehörten schließlich auch die Bände, die er selbst hatte schreiben bzw. kopieren lassen und für die er die malerische oder kalligraphische Ausstattung hatte anfertigen oder auch vervollständigen lassen.

[Dias: Heidelberg, Universitätsbibliothek, Cod. Pal. germ. 833 / Heidelberg, Universitätsbibliothek, C 7222-50 Fol Res.] Zwei besonders eindrucksvolle Beispiele für solche Prachteinbände bieten die sogenannte "Heidelberger Geomantie" (rechts) und der Heidelberger Band mit Stichen aus der Sammlung Ottheinrichs. Der Band mit den Stichen fällt allerdings in mehrfacher Hinsicht aus dem Rahmen: nämlich durch die besonders reiche Goldornamentik, die ungewöhnliche Gestaltung, das Fehlen von Beschlägen und schließlich das stattliche Format (43 x 30 cm). Die zwei ineinandergesetzten Mittelplatten, die zusammen mit Dreiecksgiebel und Akroterien an eine Tempelfront erinnern und die antikische Gestaltung der Titulatur des Fürsten in dieser "Traubenform" sind individuelle Gestaltungen, die sich sonst bei den Ottheinrichbänden nicht finden. Die "Geomantie" (Heidelberg, Universitätsbibliothek, Cod. Pal. germ. 833) dagegen – für ihn abgeschrieben und illuminiert – gibt einen sehr guten Eindruck davon, wie man sich eine großformatige Prachthandschrift aus seinem Besitz in der Regel vorzustellen hat.

Bevor ich im folgenden auf Ottheinrich von der Pfalz und die für ihn gestalteten Einbände im allgemeinen eingehe, möchte ich Ihnen zunächst einige typische Bände im Einzelnen vorstellen und die wesentlichen Merkmale umreißen. Ich habe Ihnen hierzu unter anderem einige Detailaufnahmen mitgebracht, die eine Vorstellung vom besonderen Reiz dieser Renaissanceeinbände aber auch von ihrem handwerklich-materiellen Charakter vermitteln sollen.
[Dias: Heidelberg, Universitätsbibliothek, Cod. Pal. germ. 833 Vorderdeckel / Heidelberg, Universitätsbibliothek, Cod. Pal. germ. 114, Vorderdeckel]

Als Beispiele habe ich hier vor allem auf Handschriften der Universitätsbibliothek Heidelberg zurückgegriffen, die mir besonders vertraut sind. Natürlich habe ich Bände ausgewählt, die einen guten Erhaltungszustand aufweisen. Allerdings wurden praktisch alle Heidelberger Ottheinricheinbände in den 60er und 70er Jahren restauriert, auf entsprechende Veränderungen werde ich gegebenenfalls hinweisen. Auf den Inhalt der gezeigten Bände werde ich jedoch nur in Ausnahmefällen eingehen können.

[Beispiele aus: Heidelberg, Universitätsbibliothek, Cod. Pal. germ. 114]
Hier handelt es sich um einen typischen Bibliothekseinband für Kurfürst Ottheinrich von der Pfalz: ein stabiler Holzdeckeleinband, bezogen mit meist dunklem Kalbsleder: entweder dunkelbraun, wie hier oder auch in Rot, Schwarz oder Hellbraun, geschmückt mit figürlichen oder ornamentalen Rahmenleisten und Goldprägung für die Bildnis- bzw. Wappenplatte, die Jahreszahl und eventuell weiterer Details. - Das hängt auch vom Format und somit von der Fläche ab, die zu gestalten war. Außerdem sehen Sie die typischen Messingbeschläge, vier "Buckel" und die Schließen am Vorderschnitt. Der relativ kleine Oktavband [ca. 17 x 12 cm] zeigt zwar deutliche Gebrauchsspuren: die Oberfläche des Leders ist an einigen Stellen etwas abgerieben, der Rücken zeigt, daß das Buch oft aufgeschlagen wurde und ein Eckbeschlag ist leicht eingedrückt. Trotzdem ist der Zustand sehr gut und vor allem weitgehend authentisch. Man kann allgemein davon ausgehen, daß das Leder mit der Zeit nachgedunkelt ist. Daß sich die Farbe zuweilen verändert hat, sieht man auch daran, daß die Inventareinträge der Zeit gelegentlich von rotem Leder sprechen, wo wir heute eindeutig einen braunen Einband vorfinden. Oberflächenstruktur und Glanz werden natürlich auch von der Behandlung bei der Konservierung beeinflußt. (Bild: Rom, Bibliotheca Apostolica Vaticana, Memb. S 21, Einband von 1553, Vorderdeckel)

[Dias: Heidelberg, Universitätsbibliothek, Cod. Pal. germ. 60 / Heidelberg, Universitätsbibliothek, Cod. Pal. germ. 114, bleibt stehen]
Hier zum Beispiel weist das Leder kaum mehr Relief auf, dafür glänzt es stark. Typisch ist hier im übrigen die Flächenaufteilung der größeren Formate. [Dias: Heidelberg, Universitätsbibliothek, Cod. Pal. germ. 114, Vorderschnitt / Heidelberg, Universitätsbibliothek, Cod. Pal. germ. 114, bleibt stehen] Der Blick auf den sehr glatten Vorderschnitt der rechts stehenden Handschrift zeigt einen dicken Buchblock zwischen zwei kräftig dimensionierten Deckeln mit der charakteristischen Abschrägung auf der Innenseite, Messingschließen an Lederriemen und die um die Kante herumgebogenen Beschläge mit ihren Befestigungsnägeln. [Dia: Heidelberg, Universitätsbibliothek, Cod. Pal. germ. 114, Kopfschnitt / Heidelberg, Universitätsbibliothek, Cod. Pal. germ. 114, bleibt stehen] Blicken wir auf den Kopfschnitt , so sehen wir widerum den kompakten Buchblock aus bemerkenswert glatt liegenden Pergamentblättern, auch hier angeschrägte Buchdeckel und das typische blau-weiß-rote Kapital. Ein so sauberer Kopfschnitt geht im übrigen meist auf die Bemühungen des Restaurators zurück. Von der ursprünglich meist angebrachten Gelbfärbung des Schnittes sieht man hier nichts. Die weniger gepflegten Bände in der Vatikanischen Bibliothek sind zwar meist weitaus staubiger, dafür kann man den Farbschnitt in der Regel noch erkennen. [Dia links: Heidelberg, Universitätsbibliothek, Cod. Pal. germ. 60, Detail Vorderschnitt] Hier zum Vergleich ein anderer Einband von 1550: Deckelstärke und Befestigungsnägel.

[Dia: Heidelberg, Universitätsbibliothek, Cod. Pal. germ. 114, Kapital]
Die einfache Gestaltung des Kopfes mit dem sehr schön erhaltenen Kapital sehen Sie hier noch einmal deutlicher. Einen direkten Bezug der verwendeten Farben, Blau, Weiß, Rot, zu den Wappenfarben wird oft geleugnet. Dennoch dürfte der Anklang an das Weiß-Blau des Wittelsbacherwappens und den roten Kurschild nicht ganz zufällig sein. [Dias: Ottheinrichs Wappen, Mylius, Gratulationscarmen zum Regierungsantritt 1556 / Schnittmalerei mit Kurpfälzer Wappen für Ludwig VI.] Ich zeige hier zwei Darstellungen kurpfälzischer Wappen aus diesem Bereich: links Wittelsbach, Pfalz und der Kurschild als einzelne Schilde in einem Gratulationsgedicht zu Ottheinrichs Regierungsantritt in der Kurpfalz. Rechts ein bemalter Buchschnitt für Ludwig VI. von der Pfalz, das Wappen erscheint hier in der quadrierten Form mit Herzschild.

[Dias: Heidelberg, Universitätsbibliothek, Cod. Pal. germ. 114, Vorderdeckel / Heidelberg, Universitätsbibliothek, Cod. Pal. germ. 833, Vorderdeckel]

[Heidelberg, Universitätsbibliothek, Cod. Pal. germ. 833]
Neben dem bereits gezeigten Bibliothekseinband sehen Sie zum Vergleich einen der Prachteinbände für den Kurfürsten. Es handelt sich um die sogenannte "Heidelberger Geomantie", eine für Ottheinrich kompilierte, in sorgfältigster Kalligraphie geschriebene und schließlich nach einem älteren Vorbild illuminierte Handschrift [Dia: Heidelberg, Universitätsbibliothek, Cod. Pal. germ. 833, Miniaturseite]. Entsprechend prächtig sollte offenbar auch der Einband ausfallen. Im Gegensatz zum schlichteren Bibliotheksband kam hier reichlich Golddruck zum Einsatz, der zusammen mit dem rotbraunen Leder das Gesamtbild bestimmt. Schon am Größenverhältnis zwischen Bildnisplatte und Gesamtfläche können Sie erkennen, daß es sich um ein Folioformat handelt, typisch ist die Einfügung einer Raute aus Ornamentleisten zur Gliederung der breiten Zone zwischen äußerem Rahmen und Mittelplatte. Auch die goldenen Einzelstempel sind hier zahlreich zu finden. Schließlich wird der Band von insgesamt vier Schließen zugehalten. [Dia: Portraitplatte] Leider sind die Goldprägungen recht empfindlich für Kratzer, wie man hier erkennen kann.
[Dia: Detail vom Hinterdeckel] Ich zeige hier noch ein Detail des hinteren Einbanddeckels: rechts angeschnitten die Wappenplatte, mehrere Einzelstempel wie das aus der römischen Antike stammende Einblatt oder der große, aus Einzelelementen gebildete Maureskenstempel. Die Goldrollen zeigen einmal eine Abfolge von ornamentalen Ranken und Medaillons mit Frauenköpfen zum anderen sieht man hier Figuren auf einer Art von Konsolen. Bei genauerer Betrachtung erkennt man das Jesuskind mit Globus und den Johannesknaben, dessen Spruchband man zu "verbum caro factum est" (das Wort ist Fleisch geworden) ergänzen kann.

[Dia links: Heidelberg, Universitätsbibliothek, Cod. Pal. germ. 833, Goldrolle mit Frauenköpfen] Hier noch einmal im Detail die Rolle mit den Medaillons. [Dias: Heidelberg, Universitätsbibliothek, Cod. Pal. germ. 833, Details vom Vorderdeckel] Hier sehen sie als weitere Details diese Groteskenrolle und eine ornamentale Rolle mit verschränkten Ringen und dem pfälzischen Löwenwappen.

[Technik: Dia rechts: Heidelberg, Universitätsbibliothek, Cod. Pal. germ. 96]
Sowohl das Golddekor als auch der farblose Reliefschmuck werden mit speziellen Prägewerkzeugen in das angefeuchtete Leder gepresst. Man unterscheidet dabei Einzelstempel, Plattenstempel und Rollenstempel. Die Rollenstempel tragen ihr Motiv, wie der Name schon sagt, eingraviert in zylindrische Rollen, die drehbar an einem Griff montiert sind, so daß man sie mit entsprechender Kraft aufdrücken und auf dem Leder abrollen kann. Mit diesen Rollenstempeln lassen sich so beliebig lange Schmuckleisten mit sich wiederholendem Muster erzeugen, man findet sie hier vor allem als Rahmenleisten.

[Dias links und rechts Heidelberg, Universitätsbibliothek, Cod. Pal. germ. 64, 1556: Platten vorn und hinten] Die Platten, hier auf Vorder- und Rückseite eines Einbands von 1556, wurden in der Regel mit einer Presse ausgeprägt, da abhängig von der Größe der Platte, für das Eindrücken ins Leder doch eine erhebliche Kraft vonnöten ist. Als weiteres Werkzeug kommt das sogenannte Streicheisen zum Einsatz, es dient zur Einprägung einfacher gerader Linien. Vermutlich gab es hier auch Werkzeuge, die zwei oder mehr parallele Linien erzeugten. Während nun die Stempel für kleinere Einzelornamente und Goldprägungen positiv geschnitten sind, also ihr Motiv als Vertiefung im Leder einprägen, wurden die Rollen für den sogenannten Blinddruck negativ geschnitten. Ihr Motiv erscheint daher als erhabenes Relief, nur der Reliefgrund bzw. die Ränder werden als Vertiefungen ins Leder geprägt.

[Dias: Heidelberg, Universitätsbibliothek, Cod. Pal. germ. 96, Gesamtansicht / Heidelberg, Universitätsbibliothek, Cod. Pal. germ. 96 Detail, Blindrollen, links: Kreuzigung etc. rechts: Pärchen]
Ein Beispiel an dem sich der blindgeprägte Rollenschmuck sehr schön zeigen läßt ist diese großformatige Handschrift [35 x 26 cm] aus der Bibliotheca Palatina. Der relativ schmale Band hat noch seinen originalen Rücken, dessen schlichte Akzentuierung mit erhabenen Bünden und Streicheisenlinien Sie hier gut erkennen können [Dia kurz: Detail des Rückens mit beschädigtem Bund / Detail, Blindrollen bleibt]. An dieser kleinen Beschädigung des Leders am Rücken kann man einen Blick auf den Bund mit den Heftfäden erhaschen.

[Dias: Hinterdeckel, Wappenplatte / Detail, Blindrollen bleibt] Die Lederoberfläche des hinteren Deckels ist sehr gut erhalten, auch die Goldprägung zeigt kaum Schäden. Auffallend an dieser Platte ist übrigens der sehr hohe Postivanteil und dadurch die Leuchtkraft der Goldfläche, Wappen und Ornamentik treten als Linienzeichnung nur wenig hervor. Deutlich kann man hier das Relief der Rollstempelabdrücke erkennen. Sowohl die Mittelplatte als auch die Rollen werden in der Regel mit Streicheisenlinien gerahmt, gerne werden breite und schmale Linien kombiniert. Die Präzision mit der die beiden Linien parallel laufen, deutet darauf hin, daß beide Linien in einem Zug mit einem entsprechenden Werkzeug ausgeführt wurden.

[Dias: links bleibt / rechts: Heidelberg, Universitätsbibliothek, Cod. Pal. germ. 96, hinten, Detail: Buckel und Blindrollen]
Hier noch ein Detail des Hinterdeckels, wo Sie die beiden blindgedruckten Rollen, Rahmenlinien und einen der Beschläge sehr gut erkennen können. [Dia links: Heidelberg, Universitätsbibliothek, Cod. Pal. germ. 60, Ecke mit Beschlag] Diese Beschläge wurden übrigens aus Messingblech hergestellt. Es sind frühe Großserienprodukte, die die Buchbinder fertig kaufen konnten. Ottheinrichs Buchbinder Jörg Bernhard etwa konnte die "Bucklen" und "Spenglin" (Schließen) über andere Bedienstete des Fürsten von der Frankfurter Messe beziehen.

Es gab verschiedene Größen zu kaufen und natürlich einfachere und schmuckvoll gepunzte, wie diese beiden hier. Im 16. Jahrhundert wurden in der Regel nur silberne oder gar goldene Beschläge, wie sie selten, etwa bei Gebetbüchern, vorkommen, individuell hergestellt. Links sehen sie übrigens noch eine moderne Ergänzung, die Befestigung der Schließe.

[Dias bleiben (Heidelberg, Universitätsbibliothek, Cod. Pal. germ. 60 Ecke bleibt / Heidelberg, Universitätsbibliothek, Cod. Pal. germ. 96 Detail)]
Im rechten Dia kann man nun zwei der immer wieder auf Ottheinrichseinbänden zu sehenden Rollenstempel sehr schön erkennen. Auf der rechten Seite sehen Sie eine Abfolge von drei religiösen Motiven: Sündenfall, Kreuzigung und Auferstehung. In der Literatur wird die Rolle als "Salvatorrolle" bezeichnet, ihr Thema ist der Ursprung der Sünde und ihre Überwindung durch Christus. Auf der linken Seite erkennt man Paare in rundbogigen Nischen, die Figuren haben rein dekorativen Charakter und lassen sich nicht näher bestimmen.

[Dia links: Heidelberg, Universitätsbibliothek, Cod. Pal. germ. 96, Vorderdeckel, Ausschnitt: unten links / rechts bleibt] Auf dem vorderen Deckel sieht man hier wiederum Pärchen- und Salvatorrolle sowie als äußeren Rahmen eine Rolle mit König David, abermals dem auferstehenden Christus und dem Apostel Paulus, stellvertretend für Psalmen, Evangelium und Episteln. [Dia rechts: Detail, Paulus] Neben dem Apostel Paulus mit Schwert und Buch (leicht unscharf!) sieht man hier eine der kritischen Stellen des ganzen: an Ecken und besonders an Stellen, wo Rollen schräg aufeinander treffen, sind Überschneidungen nicht zu vermeiden.

[Dia rechts: Detail, auferstehender Christus] Das Motiv ist bei diesen Stempelabdrücken nicht immer so deutlich zu sehen. Zum einen fallen nicht alle Prägungen so kräftig aus, zum anderen sind sie häufig durch den Gebrauch abgetragen. [Dia rechts: Detail König David] Hier noch einmal König David mit Krone und Harfe. [Dia links bleibt / rechts: Heidelberg, Universitätsbibliothek, Cod. Pal. germ. 96, vorn Portraitplatte] Hier noch einmal die Portraitplatte auf dem Vorderdeckel mit der Jahreszahl 1558. Die Übernahme der Regierung in Heidelberg und damit der Kurfürstenwürde 1556 bedingte auch eine neue Platte mit entsprechender Unterschrift.
 
 

II. Zu Ottheinrich von der Pfalz (1502-1559)

[Dias: Medaille, Ottheinrich 1522 / Heidelberg: Ottheinrichbau] Ottheinrich von der Pfalz wurde am 10. April 1502 in Amberg in der Oberpfalz geboren, regierender Kurfürst war zu dieser Zeit sein Großvater, Philipp der Aufrichtige. Als Sohn des nachgeborenen Pfalzgrafen Ruprecht und seiner Frau Elisabeth von Bayern-Landshut war er der Neffe der beiden vor ihm die Kurpfalz regierenden Kurfürsten. Die Ehe seiner Eltern – eng miteinander verwandt im übrigen – lieferte die Grundlage zum verheerenden Landshuter Erbfolgekrieg.

Die Bildung des Herzogtums Neuburg, der "Neuen Pfalz" im Jahre 1505 war ein Kompromiß um die Auseinandersetzung zu beenden. Dieses relativ kleine Herzogtum Pfalz-Neuburg sollte Ottheinrich zunächst zusammen mit seinem Bruder Philipp regieren, nachdem beide 1522 für volljährig erklärt worden waren. [Dias bleiben] Sie sehen hier auf der linken Seite den zwanzigjährigen Ottheinrich in einer Medaille aus dem Jahr seines Regierungsantritts. Rechts die Fassade des Ottheinrichsbaus, begonnen 1556 - das am meisten mit seinem Namen verbundene Werk.

In jungen Jahren scheint sich Ottheinrich noch nicht überdurchschnittlich für Bücher interessiert zu haben. Seine Bauten und ihre Ausstattung waren wichtiger. Aufwendige Feste, Turniere mit kostspieligen Pferden und Harnischen sowie die Einrichtung etwa des Neuburger Schlosses oder des Jagdschlosses Grünau mit Möbeln, Tapisserien und Gemälden beschäftigten ihn vor allem. Auch einen Lustgarten und eine Menagerie mit exotischen Tieren unterhielt er in Neuburg. Dazu kamen Reisen und die Teilnahme an Kriegszügen, etwa im Bauernkrieg von 1525. Lediglich der Erwerb der Ottheinrichsbibel deutet frühzeitig auf ein besonderes bibliophiles Interesse.

Die frühen 40er Jahre brachten dann Umwälzungen: 1541 überließ Philipp Landesteil und Schulden seinem Bruder. 1542 beginnt Ottheinrichs klare Hinwendung zur Reformation – die damit auch auf wittelsbachischem Territorium Fuß faßte. 1543 dann starb Ottheinrichs Frau Susanna, die ihrerseits am alten Glauben festgehalten hatte. Damit entfiel die persönliche Rücksichtnahme, die ihn bisher zurückgehalten hatte: Ottheinrich führte in seinem Land offiziell die Reformation ein.

Bald jedoch verschärfte sich seine finanzielle Lage bedrohlich: er sah sich erst zur Verpfändung von Landesteilen und schließlich zur Übergabe der Regierung an die Landstände gezwungen. Die bescheidenen Einnahmen, die Kosten des vergangenen Krieges und auch die hohen Ausgaben der beiden Brüder, Ottheinrich und Philipp, führten zum Fiasko. Die beträchtlichen Zinsen der Zeit taten ein Übriges. Die Schulden waren in die schwindelerregende Höhe von über einer Million Gulden gestiegen.

Die regulären Einkünften reichten nicht, der Ausbau der Residenz und die Kriegsschulden waren vor allem aus neuen Steuern und Großkrediten finanziert worden. Ottheinrich mußte sich verpflichten sein Land, Pfalz-Neuburg, zu verlassen. Man stand ihm nur relativ bescheidene Mittel für seinen Lebensunterhalt zu. So richtete er sich 1544 in Heidelberg ein - in der Stadt, unterhalb des Schlosses. Zeitweise residierte er auch in Weinheim an der Bergstraße.

[Dia links: Bartel Beham: Portrait Ottheinrichs von 1535, Bayerische Staatsgemäldesammlung (Bild siehe oben)] Das Sammeln von Büchern, Münzen und Medaillen wurde in dieser Zeit des Exils und der erzwungenen Muße offenbar zu seiner Leidenschaft. Schwerpunkt waren die aktuelle Literatur zu den Wissenschaften und zur reformierten Theologie, zum anderen aber alte, wie er zu sagen pflegte "antiquitetische" Bücher. Hier kamen ihm die Zeitumstände zur Hilfe, denn durch den Niedergang der Klöster wurden erhebliche Schätze an kostbaren Handschriften sozusagen freigesetzt.

Jahre vor der allgemeinen Klosteraufhebung in der reformierten Pfalz wurden Konvente aufgehoben, die nicht mehr lebensfähig waren. Andere konnten sich dem entschlossenen Zugriff eines fürstlichen Büchersammlers wohl nicht entziehen - wollten es vielleicht gar nicht mehr. So das berühmte karolingische Kloster Lorsch. Bekannt ist hier die immer wieder gern zitierte Stelle der Zimmerschen Chronik, nachdem Ottheinrich "tanquam alter Nebukadnezar" - wie ein zweiter Nebukadnezar - in Lorsch eingefallen sei und die wertvolle Bibliothek "sampt Butzen und Stil hinweggeführt" habe. Ob dies tatsächlich so überfallartig vor sich ging, und wann genau es geschah, ist bis heute unklar – der Chronist jedenfalls stand dem Pfälzer schon aus konfessionellen Gründen feindlich gegenüber. Mit Sicherheit war es aber vor Ottheinrichs Kurfürstenzeit, denn der am frühesten in seinem Besitz nachweisbare Band Lorscher Provenienz trägt einen 1548 datierten Ottheinricheinband. Er befindet sich heute übrigens in Budapest. Weitere, später abgelöste, Ottheinricheinbände für Lorscher Handschriften finden sich im "Fondo ligature" der Vatikanischen Bibliothek, auch sie tragen das Datum 1548.

In dieser Zeit sammelte Ottheinrich auch gezielt Zeugnisse älterer Liturgie – im weitesten Sinne, um, sozusagen im historischen Krebsgang, zurück zu gelangen zu den Bräuchen der Kirchenväter. Ein bezeichnendes Beispiel ist dieser Bucheintrag von der Hand seines Sekretärs in einem ererbten Stundenbuch des 14. Jahrhunderts. [Dias: Beham bleibt / Rom, Bibliotheca Apostolica Vaticana, Cod. Pal. lat. 537 Vorrede] Ich kürze und modernisiere etwas:

Der Schreiber argumentiert klar im Sinne Luthers, der es kategorisch verneinte, daß man durch Frömmigkeitsübungen – also Werkegerechtigkeit – die Vergebung der Sünden und das Ewige Leben erlangen könne. Sie könnten lediglich im Rahmen der christlichen Lehre nützlich sein. Das betreffende Buch soll man jedoch als "Zeugnis", also als Quelle oder Belegstück, für die frühen, unverdorbenen Bräuche der Kirche und ihre spätere Verderbnis erhalten bleiben.

[Dia: Beham bleibt / Heidelberger Schloß in Vogelschau]
Erst 1552 durfte Ottheinrich in sein Fürstentum Neuburg zurückkehren. Vier Jahre später, 1556, übernahm er die Herrschaft in Heidelberg als Kurfürst. In dieser Zeit kamen die bedeutenden Bestände der Heidelberger Schloßbibliothek und der Bibliothek im Heiliggeiststift, der Bibliotheca Palatina, unter seine Verfügung. So entstanden in der Heidelberger Kurfürstenzeit weit mehr Ottheinricheinbände als in den Jahren zuvor. Wohlgemerkt: Ottheinrich ließ nicht nur die von ihm erworbenen Bücher einbinden, sondern in großem Umfang auch solche, die er in der Heidelberger Schloßbibliothek vorfand. [Dias, links: Schroh-Büste, Paris, Louvre / rechts bleibt] Schon am 12. Februar 1559 jedoch starb Ottheinrich, der seit langem nicht mehr gesund war, in Heidelberg und wurde in der Heiliggeistkirche beigesetzt. [Dias: links: Büste bleibt / rechts: Bibliotheksempore] In der selben Heiliggeistkirche übrigens in der auch seine Bücherschätze lagen, die dort eigentlich nur auf die Neugestaltung der Schloßbibliothek warteten. Sie sehen hier die Bibliotheksempore, wo seine Bibliothek, bedingt durch sein vorzeitiges Ableben mit der Landbibliothek, der Palatina, vereint blieb.

Doch die Palatina sollte auch noch nach seinem Tod von Ottheinrichs Fürsorge und seinen persönlichen Kontakten profitieren. Denn zum ersten hatte er – soweit ich sehe als erster überhaupt – in seinem Testament einen laufenden Ankaufsetat für die Bibliothek vorgesehen. Zum anderen hatte er geradezu freundschaftliche Kontakte mit Ulrich Fugger unterhalten, einem weiteren bedeutenden Büchersammler der Zeit. Als dieser Jahre später Augsburg verlassen mußte, lag Heidelberg als Zufluchtsort nahe. So kamen auch seine Bücherschätze auf die Emporen der Heiliggeistkirche, die nunmehr eine der wichtigsten Bibliotheken im deutschen Kulturraum barg. Über deren Schicksal möchte ich mich hier allerdings nicht weiter verbreitern.
 
 

III. Die Entwicklung des Ottheinricheinbandes

[Dias: Feldbuch der Wundartznei/ Heidelberg, Universitätsbibliothek, P 7585 Fol Res, Einband von 1540] Wie aber fand nun Ottheinrich zu seiner ganz persönlichen Einbandgestaltung? Die typischen Ottheinricheinbände, wie ich sie Ihnen bereits anhand einiger Beispiele vorgestellt habe, entstanden vor allem in dem knappen Jahrzehnt von 1550 bis zum Tod Ottheinrichs im Jahr 1559. Selbstverständlich ließ der 1502 geborene Ottheinrich auch schon vorher Bücher für sich einbinden, griff jedoch zunächst und naheliegenderweise auf die, den beauftragten Buchbindern vertrauten Gestaltungsweisen zurück. Einer der frühesten Bände der mit Monogramm, Wappen und abgekürzter Devise auf den Fürsten zugeschnitten wurde, findet sich an diesem Straßburger Druck des "Feldbuches der Wundarznei" von 1540, heute in der Universitätsbibliothek Heidelberg. Das Einbanddatum auf dem Vorderdeckel stimmt mit dem Erscheinungsjahr überein, das Buch wurde neu erworben und wohl gleich für den Pfalzgrafen gebunden.

Der braune Lederband ist durchgehend mit blind gedruckten Rollenstempeln verziert und zeigt prinzipiell eine Durchformung, wie sie sowohl im südwestdeutschen Bereich als auch beispielsweise in Augsburg üblich war. Die Gestaltung der hinteren Einbanddecke mit Umrahmung, Aufteilung in zwei Felder und sich diagonal kreuzenden Streicheisenlinien ist typisch für Augsburger Einbände seit dem ausgehenden 15. Jahrhundert. Die Gestaltung ist durchaus zeittypisch, jedoch keineswegs besonders progressiv. [Dias: Heidelberg, Universitätsbibliothek, P 7585 Fol Res bleibt / dazu: Detail "OHP"] Betrachtet man die Vorderseite etwas genauer, so fällt ein eher ungewöhnliches Detail ins Auge: das goldene Monogramm "OHP" (für "Otto Heinrich Pfalzgraf") wurde mitten auf einen Rollstempelabdruck gesetzt. Das Relief der Schmuckleiste bot offensichtlich keinen guten Untergrund für das Golddekor, das daher an dieser Stelle auch nicht so gut erhalten ist. Nun ist es zwar normal, daß Goldauflagen erst nach den blind gedruckten Elementen aufgebracht werden, allerdings würde man dafür entsprechend Platz freilassen. Im Gegensatz dazu ist hier festzustellen, daß die verschiedenen Elemente der Einbandgestaltung nicht in einem Arbeitsgang angebracht wurden. Der vollständig dekorierte Lederband wurde offensichtlich erst nachträglich für den Besitzer "individualisiert".

Während man alle Goldstempel – Buchstaben, Ziffern und Wappenstempel – auch auf den späteren Ottheinricheinbänden wiederfindet, treten die Rollenstempel dort nirgens mehr auf. Die Stempel, die hier zur individuellen Kennzeichnung dienten, befanden sich 1550 aber nachweislich im Besitz des Fürsten, nicht eines bestimmten Buchbinders. Ihre Verwendung läßt somit keine unmittelbaren Rückschlüsse auf einen bestimmten Meister und seine Werkstatt zu. Was sich jedoch bei der Untersuchung der frühen Einbände für Ottheinrich deutlich abzeichnet, ist, daß sie in der Regel Augsburger Einbänden der 40er Jahre nahe stehen, auch Nürnberg als wahrscheinlicher Bindeort kommt vor.

[Dia links bleibt / rechts: Rom, Bibliotheca Apostolica Vaticana, Stamp. Pal. V 932 – Einband des "Neuburger Meisters" 1544]
Der sogenannte "Neuburger Meister" Ottheinrichs hatte seine Wurzeln offenbar ebenfalls in Augsburg, woher einige seiner Rollen stammten. Auch hier ist das Grunddekor ausschließlich blind gedruckt und aus Rollstempeln und Streicheisenlinien aufgebaut. Dazu kommen abermals das Monogramm, die Jahreszahl, hier 1544, und die beiden Wappenstempel mit Wittelsbacher Rauten und Pfälzer Löwe, die sich auch auf dem Heidelberger Band von 1540 finden. Schließlich finden sich die Buchstaben der abgekürzten Devise Ottheinrichs MDZ – für das Motto "Mit der Zeit" – die hier allerdings nur noch schwach sichtbar sind. Auch für dieses Element hatte der ursprüngliche Entwurf keinen Platz geboten, so daß man die Lettern in den oberen Rollwerkrahmen setzen mußte.

Bei genauer Betrachtung kann man auch erkennen, daß der freigebliebene Raum für die Namens-Initialen und die Jahreszahl sehr knapp bemessen ist, sie wirken merkwürdig eingeklemmt. Da es ein Leichtes gewesen wäre, die Streicheisenumrahmung im Bereich der betreffenden Felder schmaler zu wählen, erscheint auch hier eine nachträgliche Anbringung der Goldstempel als sehr wahrscheinlich. Im Umfeld der Augsburger Bucheinbände der Zeit jedenfalls würden beide Bücher auch ohne die goldenen Zutaten als vollständige und durchaus ansprechende Beispiele durchgehen. [Aufteilung in rechteckige Felder, z.T. mit kleinen Freiflächen]

Einige der grundsätzlichen Entscheidungen darüber, welches Erscheinungsbild er seinen Büchern geben wollte hatte Ottheinrich aber offenbar schon getroffen. Er bevorzugt schon das feinere Kalbsleder in dunklen Tönen und wählt den traditionellen Holzdeckeleinband mit Metallschließen, nicht den moderneren und leichteren Einband mit Deckelpappen. Allerdings finden wir hier noch keine Bildnis- und Wappenplatten, Eckbeschläge hat nur der frühere Band. Lediglich der in Deutschland erst langsam auf dem Vormarsch befindliche Golddruck zeigt einen fernen Anklang an den sogenannten "welschen Stil", also an italienische und französische Einbände, die vor allem ornamentalen Golddruck auf feinem Leder zeigen. [Dia: links Bologneser Einband von 1543 für Nikolaus von Ebeleben; Cicero, Rhetorica / rechts: Detailansicht Heidelberg, Universitätsbibliothek, Cod. Pal. germ. 60] Ich zeige hier einen Bologneser Einband von 1543 für einen deutschen Studenten – übrigens für einen Cicero-Druck aus der Presse von Aldus Manutius in Venedig. Dort sind allerdings Holzdeckel und Metallbeschläge längst nicht mehr üblich. Sie gehören zusammen mit dem figürlichen Dekor der Rollen- und Plattenstempel zum "deutschen Stil".

[Dia links: Einband von 1548 mit Wappenplatte, Rom, Bibliotheca Apostolica Vaticana, Stamp. Pal. VI 53, "Lutherbibel" / Dia rechts: Wittenberger Einband von Joachim Link, 1536 für Joachim von Anhalt] In den deutschen Ländern hatte sich neben den reinen Rollstempelbänden noch weitere Formen der Einbandgestaltung herausgebildet. Die in diesen Jahren einflußreichste hatte Ursprung und Zentrum in Wittenberg, die Reformation verbreitete ihre Erzeugnisse in weitem Umkreis. Zu den ornamentalen Stempeln traten hier vor allem figürliches Dekor mit spezifisch reformatorischen Motiven. Dazu gehörten Plattenstempel mit Bildnissen Luthers, Melanchthons und weiterer Reformatoren und Rollen mit Bildfolgen wie beispielweise: Sündenfall, Kreuzigung, Auferstehung – verstanden als Hinweis auf Luthers Rechtfertigungslehre. Auch Paulus tritt nun stark in den Vordergrund, entsprechend seiner Bedeutung für die evangelische Theologie. Rollstempel wie der bereits gezeigte mit Darstellungen König Davids, des auferstehenden Christus und Paulus sind ebenfalls typisch und weisen auf die wichtigsten Teile der Bibel hin: Psalmen, Evangelium und Paulusbriefe.

Allerdings finden sich bei Einbänden für Fürsten auch häufig Tugenden, verstanden als Herrschertugenden, wie hier etwa in einem Beispiel von Joachim Link von 1536. Die vergoldete Bildnisplatte mit dem Portrait Luthers muß man sich leuchtender vorstellen, das Rauschelgold ist heute etwas geschwärzt. Auch die Einzelstempel um den zentralen Bereich waren vergoldet, der Feingehalt ist hier jedoch niedriger und das Metall heute völlig geschwärzt.

In den späteren 40er Jahren also bildete Ottheinrich das Grundmuster für seine persönlichen Einbände heraus. Das hervorstechendste Merkmal ist die Kombination der goldenen Mittelplatte mit einem Rahmen aus blindgeprägten Rollstempeln und je nach Platz Jahreszahl, Monogramm und Devise. [Dia links: Rom, Bibliotheca Apostolica Vaticana, Stamp. Pal. VI 53, 1548, Wappen vorn] Auf diesem kleinen Band reichte der Raum nur für die Platte, eine schmale Rolle und das Jahr 1548. Allerdings wurde trotzdem darauf geachtet, daß für die Jahreszahl genug Platz blieb, sie sitzt nicht so beengt wie etwa auf dem Band von 1544. Hier waren genau diese Ziffern von vorn herein eingeplant.

Auf den späteren Bänden findet sich dann vorne die Bildnisplatte, die Wappenplatte wanderte auf den Hinterdeckel. Hinweisen möchte ich bei diesem Band der Vatikanischen Bibliothek auch auf den original erhaltenen Rücken. Eingebunden wurde hier übrigens ein Band von Luthers Bibelübersetzung. Es zeigt sich, daß Ottheinrich just in den Jahren, in denen er sich der Reformation zuwandte, auch charakteristische Merkmale der Wittenberger Einbandgestaltung für sich übernahm.

[Dias, links: Joachim Linck 1530 für Johann von Sachsen / rechts: derselbe, Einband 1543 für Georg von Anhalt]
Ich zeige hier zwei weitere Beispiele für Wittenberger Einbände: ein Band von 1530 für Johann von Sachsen mit Portraitplatte des Fürsten und ein Einband von 1543 für Georg von Anhalt mit Rollen und Plattenstempel, die Wappenplatte findet sich auf dem Hinterdeckel. Die Rollenstempel konnten auch mit schwarzer Farbe aufgedruckt werden, so wie hier rechts. Das Motiv hebt sich so besser vom Leder ab. Platten, Schrift und Einzelstempel weisen auch hier Rauschelgold auf, das heute schwarz erscheint. Der linke Einband, ebenfalls vom Wittenberger Buchbinder Joachim Link, zeigt als Supralibros das Bild Kurfürst Johanns des Beständigen von Sachsen, für den er angefertigt wurde.

[Dias: zwei Bände von 1550: Rom, Bibliotheca Apostolica Vaticana, Stamp. Barb. FF VI 50 und Stamp. Pal. I 54]
Wie bereits erwähnt verließ Ottheinrich 1544 seine Residenz Neuburg und zog nach Heidelberg. Entsprechend änderte sich das lokale Angebot an Buchbindern. Heidelberg konnte hier in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts nur einen bescheidenen Standard liefern. Diese Einbände konnten den Ansprüchen Ottheinrichs kaum genügen.

Die Verpflichtung eines eigenen Buchbinders, der ausschließlich nach den Vorstellungen des Fürsten arbeitete, war daher die einzige Möglichkeit, vor Ort die gewünschte Qualität zu erhalten. Glücklicherweise haben sich zwei Schriftstücke aus dem Jahr 1550 erhalten, die uns hierzu eine ganze Reihe von Informationen aus erster Hand liefern: die Abschrift der Bestallungsurkunde Ottheinrichs für den Buchbinder Jörg Bernhard und das von diesem quittierte Inventar an Buchbinderwerkzeugen, das er zur Anfertigung der Einbände für den Fürsten leihweise ausgehändigt bekommen hatte [Heidelberg, Universitätsbibliothek, Cod. Pal. germ. 839, f. 292r-297v und f. 287r-289r].

Bernhard sollte demnach ausschließlich für Ottheinrich arbeiten, lediglich mit dessen ausdrücklicher Erlaubnis konnte er andere Aufträge annehmen. Da er nicht nur als Buchbinder sondern bei Bedarf auch als Kellermeister fungieren mußte, sollte er gegebenenfalls einen oder mehrere Buchbindergesellen anstellen dürfen. Auch diese führten ausschließlich Ottheinrichs Aufträge aus. Das Grundgehalt betrug 26 Gulden im Jahr, zwei Hofkleider, das Brennholz und zudem vier Gulden für "Licht", d.h. Kerzen. Darüber hinaus werden die gelieferten Einbände bezahlt, der Betrag richtet sich dabei nach Format und Aufwand. Außerdem bekam der Buchbinder Wohnung und Werkstatt sowie einige Werkzeuge gestellt. Etwa: "ain Goldtroll mit Weibes Angesichtern".

Die Bestallung legte auch die Grundsätze der Einbandgestaltung fest: der bibliophile Fürst wollte einen soliden Holzdeckeleinband mit durchgehender Kalbslederdecke. Das war für hochwertige Einbände zwar noch üblich, jedoch eher konservativ, denn die leichteren Buchdeckel aus Pappe waren bereits dabei, sich durchzusetzen. Auf Pappe jedoch ließen sich die Metallbeschläge nicht richtig verankern. Gerade diese Ausstattung jedoch bevorzugte Ottheinrich.

Ob es vor allem aus Gründen des persönlichen Geschmacks geschah, daß die Wahl auf Holz mit erhaben gearbeiteten Messingbuckeln fiel, wissen wir nicht. Sicher ist jedoch, daß bei der damals üblichen Aufbewahrung und Benutzung der Bände die gewählte Form einen sehr guten und dauerhaften Schutz gewährt. Wie im Mittelalter war es auch im Deutschland der Renaissance nicht üblich, Bücher stehend aufzubewahren. Der Band lag flach auf dem Pult- oder Regalbrett. Die häufig doch recht gewichtigen Bücher waren in der Regel auch nicht so gut dafür geeignet, sie beim Lesen frei in der Hand zu halten, so wie wir das heute gerne tun. Sie wurden meist auf einem hölzernen Pult oder Tisch aufgeschlagen. Zudem waren Bücher von vorn herein für eine sehr lange Nutzungsdauer ausgelegt. So hatten die Beschläge eine ganz handfeste Schutzfunktion, sie bewahrten den Band davor allzu schnell zerkratzt und abgerieben auszusehen. Natürlich fällt dieses Argument bei einem schmuckvollen Einband mit Prägungen und Golddruck noch mehr ins Gewicht. Wollte also Ottheinrich sein Konterfei und – nicht weniger wichtig – sein Wappen auf den Buchdeckeln lange Zeit unzerkratzt glänzen sehen, so waren die Beschläge durchaus sinnvoll.

Auch die Schließen dienen der besseren Erhaltung des Buches, halten sie doch die Seiten – ob nun aus Pergament oder Papier – glatt und dicht abgeschlossen, so daß Staub und Feuchtigkeit nicht so leicht eindringen können . Bei der Wahl des Leders kamen wahrscheinlich verschiedene Überlegungen zusammen. Der Pergamenteinband konnte eher als Billiglösung gelten und kam wohl nicht in Frage. Aufwendigere Pergamentbände wurden erst gegen Ende des Jahrhunderts häufiger gefertigt. Gängig, durchaus ansehnlich und  sehr dauerhaft wäre auch weißes Schweinsleder gewesen.

[Dias: Einband von Thomas Krüger, Wittenberg 1564, vorn und hinten] Hier ein Beispiel für einen blindgeprägten Schweinslederband des Wittenbergers Thomas Krüger von 1564. [Dias: Einband von Elias Petersheim für Ludwig VI, 1580, Gold auf Weiß] Vom weißen Leder hebt sich jedoch der Golddruck nicht so kräftig ab, was Ottheinrich wohl weniger gefiel. Hier ein besonders schönes Heidelberger Beispiel mit einer Lutherplatte in Gold auf Schweinsleder für Ludwig VI. von der Pfalz. [Dia: links Heidelberg, Universitätsbibliothek, Cod. Pal. germ. 60, 1550, Wappenplatte hinten] Das Kalbsleder in Rot, Braun oder Schwarz bot dagegen eine sehr gute Grundlage für die Verzierung mit Streicheisen, Rollstempeln und Prägeplatten und auch das Gold hebt sich kontrastreich ab. Das in Italien und Frankreich so beliebte feine Maroquin, also Ziegenleder, war in Deutschland zumeist erst später für Bucheinbände in Gebrauch. Ottheinrichs Bevorzugung des feinnarbigen Kalbsleders mag dennoch vom "welschen" Stil angeregt worden sein. Auch die Gestaltung größerer Buchdeckel mit eingefügter Raute zwischen äußerem Rahmen und Mittelelement findet sich bei italienischen Renaissanceeinbänden des 15. und frühen 16. Jahrhunderts. [Dias: Rom, Bibliotheca Apostolica Vaticana, Membr. S 21, Einband / Textseite mit Bordüre] Daß Ottheinrich auch alte Drucke sammelt, also Inkunabeln, zeigt dieses Beispiel: ein Venezianer Druck von Augustins "De civitate Die" von 1470 im Ottheinricheinband von 1553. Die Bordüre unterscheidet sich in nichts von der einer entsprechenden Handschrift.

Neben dem hoch entwickelten persönlichen Geschmack des Fürsten, waren es offenbar auch praktische Überlegungen zur Haltbarkeit seiner Bücher, die ihn leiteten. Dabei ging es ihm wahrscheinlich nicht nur um seine eigene Lebenszeit. Die meisten Ottheinricheinbände entstanden in den 50er Jahren als er auch bei sehr optimistischer Prognose doch die Lebensmitte überschritten hatte. Auch wenn er selbstverständlich nicht wissen konnte, daß er 1559 schon sterben würde, ist doch klar: auch weniger haltbar konstruierte Einbände hätten ihn mit einiger Sicherheit wohlbehalten überdauert. Doch Ottheinrich dachte an die Zukunft. Die repräsentativ gestalteten Einbände seiner Bibliothek sollten den Ruf des gebildeten und für die Kirchenreform eintretenden Fürsten in die Zukunft tragen.

[Dia links, Titel der Papstgeschichte / rechts: Platte von Heidelberg, Universitätsbibliothek, Cod. Pal. germ. 833] Schon Caspar Hedio hatte ihn 1546 in der Widmungsvorrede seiner Übersezung von Platinas Papstgeschichte ermuntert, es sei ein "recht fürstlich Geschäft, Bibliotheken oder Libraireien aufzurichten". Er stellte die Herrscher der Antike und ihre Bibliotheken als leuchtendes Vorbild vor Augen und rühmte die Unvergänglichkeit der schriftlichen Überlieferung. Die Predigt stieß bekanntlich nicht auf taube Ohren. Ottheinrichs Bibliothek sollte nicht zuletzt einen geistigen Hort für die Zukunft schaffen. Er war es, der als erster in seinem Testament einen bleibenden, jährlichen Bibliotheksetat vorsah.

Die Bibliotheca Palatina, in die der Großteil seiner Bücher einging, sollte so durch regelmäßige Ankäufe neuerschienener Literatur ausgebaut und aktualisiert werden. Die schönen und dauerhaften Ottheinricheinbände sollten sein Andenken und seinen Ruhm als Renaissancefürst von geistiger Bildung in die Zukunft tragen. Auch darauf läßt sich sein Motto "Mit der Zeit" beziehen. Und damit kein Zweifel daran aufkomme, wem man die Bücherschätze verdankte, sollte jeder Band vorne sein Bildnis tragen und hinten sein Wappen.

Natürlich – dies ist keineswegs so ungewöhnlich, daß es in besonderem Maße interpretationsbedürftig wäre. Dennoch: gerade in der konkreten Gestaltung der Einbände spiegelt sich das Denken und Trachten Ottheinrichs und auch sein Verlangen nach Dauer, nach Zukunft, nach "Gedechtnus". Seine eigene Kinderlosigkeit und das Bewußtsein, daß mit ihm die ältere Pfälzische Kurlinie aussterben würde, mag ihn für solche Gedanken besonders empfänglich gemacht haben.
 
 

IV. Weitere Einbände für Ottheinrich und seine Nachfolger

Abschließend möchte ich Ihnen nun noch einige untypische Einbände aus dem Besitz Ottheinrichs zeigen sowie einige Bände seiner Heidelberger Nachfolger.

[Dias: Einband von Petrus Betz (?), Prachteinband für Ottheinrich 1556, ganz und Ausschnitt] Dieser dem Heidelberger Buchbinder Petrus Betz zugeschriebene Prachteinband erinnert, auch in seinem Stempelmaterial, an den zu Beginn gezeigten Einband der Geomantie. Dennoch weicht er vom üblichen Muster deutlich ab, vor allem in der Gestaltung des Raumes zwischen äußerer Umrahmung und Bildnisplatte. Bei aller Pracht erreicht die Gestaltung doch nicht die Ausgewogenheit anderer Entwürfe für den Fürsten.

[Dias: Perlrollen-Meister, Geschenkband für Ottheinrich, ganz und "Seduto-Platte"] Obwohl dieser Einband ebenfalls eine Platte mit seinem Bildnis trägt und auch seinen Namen, wurde er nicht im Auftrag Ottheinrichs gefertigt. Es handelt sich vielmehr um ein Geschenk an ihn. Der Buchbinder trägt den Notnamen "Perlrollen-Meister", die Platte wird in der Literatur als "Seduto-Platte" bezeichnet. Als einzige zeigt sie den Fürsten in ganzer Figur sitzend.

[Dias: Rom, Bibliotheca Apostolica Vaticana, Stamp. Pal. IV 507] Hier ein weiterer Geschenkband, der auf dem Vorderdeckel den Namen Ottheinrichs trägt. Der Buchbinder "VS" aus dem kleinen kurpfälzischen Simmern verwendete nur für den Namen reines Blattgold, für die Mittelplatte und die Eichelstempel mußte das billigere Rauschel genügen, entsprechend zeigt es sich heute geschwärzt. Eine Kreuzigungsplatte im Mittelfeld ist hier eher ungewöhnlich. Daneben sehen sie das kolorierte Titelblatt dieser Sammlung älterer alchemistischer Texte.

Ottheinrichs Nachfolger als Kurfürst, Friedrich III. von Pfalz-Simmern, folgte in der Gestaltung seiner Einbände zunächst seinem Vorgänger [Dias: links Heidelberg, Universitätsbibliothek, Cod. Pal. germ. 64 / rechts: Einband von Petrus Betz 1561 Rom, Bibliotheca Apostolica Vaticana, Stamp.Pal. II 340]. Er ließ sich wie dieser eine Portraitplatte schneiden und wählte ein vergleichbares Layout. Beide Bände werden im übrigen dem selben Heidelberger Buchbinder zugewiesen. Schon bald zeigen die für ihn angefertigten Bucheinbände jedoch eine andere Entwicklung, die im allgemeinen auch mit seiner zunehmenden Hinwendung zum Calvinismus in Verbindung gebracht wird. Die späteren Bände für Friedrich tragen keine Bildnisplatte des Fürsten mehr.

[Dias links: Ludwig VI., Blinddruckplatte, Elias Petersheim 1580 / rechts bleibt] Ludwig VI. kam 1576 in Heidelberg an die Regierung, hier sehen sie ihn in einer Blinddruckplatte des Heidelberger Buchbinders Elias Petersheimer. Obwohl er sich allgemein stark an Ottheinrich orientierte, mit dem ihn gute Erinnerungen verbanden, ging er bei seinen Einbänden einen ganz anderen Weg. Ludwig hatte die calvinistische Wende des Vaters nicht mitgemacht und blieb lutherisch wie einst Ottheinrich.

[Dia: Rom, Bibliotheca Apostolica Vaticana, Stamp. Pal. II 434] Ein bezeichnender Fall ist dieser Einband des sogenannten Konkordienbuches von 1582. Es sollte die Lehrstreitigkeiten innerhalb des Luthertums beilegen. Der Vorderdeckel zeigt die Abdrücke von zwei Portraitplatten, der regierende Kurfürst Ludwig stellte sich neben den vor mehr als dreißig Jahren verstorbenen Ottheinrich (Seduto-Platte). Daß dies mehr als dekorative Gründe hatte liegt auf der Hand, war dieses Exemplar des Heidelberger Drucks der Konkordie doch für Ludwigs calvinistischen Bruder Johann Casimir bestimmt. Der Rückgriff verdeutlichte einmal mehr, daß Ludwig den erneuten konfessionellen Wechsel der Kurpfalz als Rückkehr auf den rechten Weg verstanden wissen wollte, den sein Vater verlassen hatte.

[Dia links: Rom, Bibliotheca Apostolica Vaticana, Cod. Pal. lat. 2000, Tagebuch Johann Casimirs im Einband von 1574] Das spätere 16. Jahrhundert wurde für Heidelberg dennoch eine Zeit der calvinistischen Geistesblüte. Dementsprechend entwickelte sich das Buchwesen. Mit Hieronymus Commelin verfügte die Stadt über einen bedeutenden Drucker klassischer Texte. Das Einwohnerverzeichnis von 1588 verzeichnet so neben 4 Druckern auch 5 Buchbinder in der Stadt. Der bedeutendste war mit Sicherheit Guillaume Plunion. Von ihm sehen sie hier einen Pergamenteinband mit Golddruck und Lackmalerei für das Tagebuch Pfalzgraf Johann Casimirs. Der prächtige Schmuck auf einem leichten Pergamenteinband wäre noch wenige Jahre früher recht ungewöhnlich gewesen.

[Dia rechts: Prachteinband Plunions, Rom, Bibliotheca Apostolica Vaticana, Stamp. Pal. II 491, 1571] Zum Abschluß zeige ich hier noch einen der aufwendigen Prachteinbände Plunions im typischen Stil des späteren 16. Jahrhunderts. Keinerlei figürlicher Schmuck ist mehr zu sehen. Die reiche Goldornamentik mit Bandwerk in farbiger Lackmalerei erzielt einen überaus prächtigen Gesamteindruck. Auch Lederintarsien finden sich bei diesem Meister, der für Heidelberg den Anschluß an überregionale Entwicklungen der Einbandgestaltung bedeutete. Nichts erinnert hier mehr an die Traditionslinien, in denen die Einbände Ottheinrichs standen.

V. Schluß

Ich habe nun versucht, Ihnen einen Eindruck von Kurfürst Ottheinrich von der Pfalz und seinen berühmten Einbänden zu geben. Ihre Besonderheit besteht weniger in exquisiter Pracht und Kostbarkeit als in ihrem ausgewogenen und vor allem sehr persönlich geprägten Erscheinungsbild. Insgesamt scheint Ottheinrichs Rechnung aufgegangen zu sein: rund 400 Bände in den Bibliotheken von Rom, Heidelberg, Köln, München, Mainz und Darmstadt – um nur einige der wichtigsten zu nennen  –  sowie einige wenige in seiner alten Residenzstadt Neuburg erinnern an ihn als bedeutenden Sammler und bibliophilen Fürsten der deutschen Renaissance.

© Wolfgang Metzger 2001

 

Literatur:

Einbände

Ottheinrich als Sammler

Ottheinrichs Bibliothek

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